Facebook
Künstler Gunter Demnig
Im Januar des vergangenen Jahres hatte der Künstler Gunter Demnig vier Stolpersteine vor dem Haus Oberstraße 14 verlegt. (Archivfoto: Kreisstadt Mettmann)

Vier neue Stolpersteine in der Stadt

Pressemeldung vom 26. Januar 2022
 

Für zwei Frauen und zwei Männer aus Mettmann, die trotz aller Repressalien, Drohungen, Folter, Inhaftierung und Deportation die Terrorherrschaft der Nazis überlebten, aber sicherlich ein Leben lang unter den Folgen der schrecklichen Erlebnisse gelitten haben dürften, wurden am Dienstag in der Oberstraße Stolpersteine vor dem Eingang des Hauses Nummer 14 ins Pflaster eingesetzt.

„Wir dürfen nicht einfach darüber hinweggehen, was den Menschen hier passiert ist“, sagte Evi Claßen, Mitglied des Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage, in ihrer Begrüßungsrede. Die Steine erinnern an die Schicksale der Menschen und mahnen zugleich, „das so etwas nie wieder geschehen darf“, so Evi Claßen. Das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage hatte die Verlegung der Stolpersteine angeregt, die von der Mettmanner Geschäftsfrau Marianne Zacharias gesponsert wurden.

Der Künstler Gunter Demnig, der sein Projekt Stolpersteine 1996 startete, verlegte die Steine in der Oberstraße. In Mettmann hat er nunmehr 22 Stolpersteine verlegt. In Deutschland und in Europa sind es mittlerweile fast 90.000.

Die neuen Stolpersteine erinnern an die Schicksale des Lehrers Karl Wagner, der im KZ Buchenwald das Leben des Mettmanner Metzgers Wilhelm Josef Friedrich Schmidt rettete, sowie dessen jüdische Ehefrau Karoline, geborene Bach und deren Tochter Lieselotta Irma Schmidt. Mettmanns Stadtarchivarin Marie-Luise Carl hat die Geschichte der vier Personen aufgearbeitet und berichtete in der kleinen Gedenkfeier, an der auch Bürgermeisterin Sandra Pietschmann sowie Vertreter des Rates teilnahmen, von ihren Leidensgeschichten während der NS-Zeit.  

Von links: Rainer Köster (Bündnis für Toleranz und Zivilcourage), Stadtarchivarin Marie-Luise Carl, Künstler Gunter Demnig, Bürgermeisterin Sandra Pietschmann und stellvertretender Bürgermeister Nils Lessing. (Foto: Kreisstadt Mettmann)

 

Hier die Aufzeichnungen von Stadtarchivarin Marie-Luise Carl zu Karl Wagner und der Familie Wilhelm Josef Friedrich Schmidt in der Zeit des Nationalsozialismus:

Das Schicksal des Karl Wagner in der Zeit des Nationalsozialismus

Karl Wagner wurde am 26. 11. 1899 in Treffurt, Kreis Mühlhausen in Thüringen geboren und evangelisch getauft. Er machte eine Lehrerausbildung. Seit August 1925 lebte er in Metzkausen, wo er seine Ehefrau, die katholische Elisabeth Zerwas kennenlernte und 1928 heiratete. Mit ihr hatte er zwei Töchter. Wegen dieser Verbindung brach er mit seiner Kirche. Von 1929 bis 1933 war er als Kandidat der antifaschistischen Vereinigten Arbeiterliste Gemeindevertreter in der damaligen Bürgermeisterei Hubbelrath. 1929 wurde er wegen seiner oppositionellen Haltung aus der KPD ausgeschlossen. Seither war er Sympathisant der deutschen Kommunisten.

Im Sommer 1932 wurde er zu 250 RM Geldstrafe oder drei Monaten Gefängnis wegen Beleidigung des damaligen Lehrers und späteren Staatsrates Sickmeier nach § 11 des Presse-Gesetzes verurteilt. Am 28.2.1933 bis zum 6.5.1933 wurde er erstmals im Untersuchungs-Gefängnis in Düsseldorf in Schutzhaft genommen. Kurz danach, am 7.6.1933, wurde er im sogenannten Braunen Haus in Mettmann, anschließend auf der Koburg erneut in Schutzhaft genommen, aber wieder frei gelassen.

Am 13.3.1935 wurde er auf Anzeige der Hubbelrather Polizei wegen der Verbreitung von Anti-Nazischriften erneut von der Düsseldorfer Gestapo, zusammen mit vier anderen Hubbelrather Angestellten und Handwerkern, verhaftet. Am 20.6.1935 verurteilte man ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 18 Monaten Zuchthaus, umgewandelt in zwei Jahre Gefängnis. Nach dem Strafende am 13.3.1937 wurde er gezwungen, einen weiteren Schutzhaftbefehl zu unterschreiben, in dem er bestätigte, dass er altes KP-Mitglied sei und noch immer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle.

Am gleichen Tag, also am 13.3.1937, überstellte man ihn zunächst ins Konzentrationslager Lichtenburg in Prettin bei Torgau an der Elbe. Am 29.5.1937 kam er nach Buchenwald, wo er vom 1. Tag des Aufbaus des Konzentrationslagers bis zur Befreiung durch die amerikanischen Truppen am 11.4.1945 war. Am 24. Mai 1945 kehrte er nach Metzkausen zurück. Seit Mitte Juni 1945 wurde er zur Mitarbeit in der Verwaltung des Amtes Hubbelrath herangezogen und trat am 1. Juli 1945 als Angestellter im Wirtschaftsamt in die Verwaltung ein.

Für den Jahrestag seiner Befreiung beantragte er für den 11.4.1946 einen Urlaubstag, um „diesen so bedeutungsvollen Tag im Kreise seiner Familie still begehen“ zu können. Karl Wagner starb am 23. März 1954 im Altern von nur 55 Jahren. Er blieb bis zu seinem Lebensende in der Verwaltung tätig, stets sehr darauf bedacht, keinen persönlichen Vorteil aus dem erlittenen Leid zu ziehen.

Das Schicksal von Karl Wagner ist mit dem des Metzgers Wilhelm Josef Friedrich Schmidt, dem Ehemann der Karolina Schmidt, geborene Bach, auf dramatische Weise verbunden, denn er rettete diesem im KZ Buchenwald das Leben.

Entweder wurden die Häftlinge der Baracke, in der sich Schmidt befand, besonders schlecht behandelt und versorgt, so dass es dort besonders viele Todesfälle gab, oder die Bewohner dieser Baracke sollten am nächsten Tag ermordet werden. Die mündlichen Berichte dazu sind abweichend. Sicher ist: In einer nächtlichen Aktion holte Karl Wagner zusammen mit Helfern Wilhelm Schmidt aus der Baracke, sie nahmen seine Papiere und Häftlingsnummer, legten eine der vielen Leichen auf seine Schlafstelle und gaben dieser Schmidts Papiere und Häftlingsnummer. Schmidt selbst versteckten sie bis zur Befreiung des Lagers und hielten ihn mit Lebensmitteln, die sie von ihren eigenen Rationen abzweigten, am Leben.

Stolpersteine in der Oberstadt

Das Schicksal der Familie des Metzgers Wilhelm Josef Friedrich Schmidt in der Zeit des Nationalsozialismus

Über das Schicksal der Familie des Max Bach, die im Oktober 1941 ins KZ verschleppt und dort ermordet worden ist, wurde sehr oft berichtet. Wenig bekannt ist, was aus seinen vier Schwestern Karoline, Henriette, Hilde und Ruth geworden ist.

Ruth, die jüngste, gelang mit ihrem Ehemann die Flucht nach Amerika. Karoline, Henriette und Hilde waren in Mettmann mit nichtjüdischen Männern die Ehe eingegangen. Dies „schützte“ die Schwestern bis 1944 vor der Deportation, doch nicht vor Repressalien. Die Ehemänner waren als „jüdisch Versippte“ „wehrunwürdig“, mussten seit Juni 1944 im „Sonderkommando J“ in Arbeitslagern der Organisation Todt in Bedburg arbeiten. Zu dieser Zeit war Irma, die Tochter der Schmidts bereits 20 Jahre alt, hatte als Schülerin in Mettmann bereits die Repressalien der nationalsozialistisch gesonnenen Mitschüler und Lehrer zu spüren bekommen. So war sie z.B. vom Sportunterricht ausgeschlossen worden und bekam plötzlich viel schlechtere Noten. Sie zog nach Düsseldorf zu ihren nicht-jüdischen Großeltern und beendete dort erfolgreich die Handelsschule. Sie machte am Tegernsee sogar ein Pflichtjahr, was ihr als Halbjüdin eigentlich untersagt war. Sie erlebte, wie im November 1938 die Metzgerei ihrer Eltern in der sogenannten Kristallnacht verwüstet wurde und wie am nächsten Tag SA die Kundschaft abgewiesen hatte. Sie mussten das Geschäft einem nichtjüdischen Metzger zur von den Nazis festgesetzten Miete überlassen und ihre Wohnung gegen den Dachboden des Hauses tauschen.

Am 17. September 1944 wurden Friedrich Schmidt und seine Schwager mit dem Zug von Bedburg wegen der vorrückenden Front ins Landesinnere verlegt. Als der Zug in Gruiten längeren Aufenthalt hatte, bekamen sie die Gelegenheit, zu ihren Familien zu gehen, wie sie vorgaben „um sich zu verabschieden“. Gerade bei den Familien angekommen, bekamen sie durch einen anonymen Hinweis die Warnung, dass sie noch am gleichen Tag „verhaftet“ werden sollten – die ganzen Familien. Während die eine Schwester mit ihrer Familie Richtung Wuppertal zu Freunden floh, flohen die Familie von Karoline Schmidt und ihre Schwester Henriette mit ihrem Ehemann über Düsseldorf nach Düren. Dort fanden sie durch Vermittlung eines katholischen Geistlichen Unterschlupf bei zwei Schwestern, bis sie von deutschen Soldaten entdeckt und beinahe wegen Spionage standrechtlich erschossen wurden.

Nachdem sie sich aber zu erkennen gegeben hatten, wurden sie nach Köln ins sogenannte Klingelpütz gebracht. Auf diesem Weg gelang Henriette und ihrem Mann erneute die Flucht. Von dort brachte man Wilhelm Schmidt ins KZ Buchenwald. Karoline und ihre Tochter Irma waren an Typhus erkrankt. Sie hörten die täglichen Erschießungen und fragten sich, wann sie an der Reihe sein würden. Im Januar 1945 brachen sie mit anderen Gefangenen zu Fuß Richtung Olpe auf. Wer zu schwach war, wurde am Wegesrand erschossen. Mutter und Tochter kamen ins Lager Hunswinkel, ein Arbeitserziehungslager, das teilweise als KZ genutzt wurde. Als im April 1945 die Amerikaner schon nahe des Lagers waren, wurde es geräumt. Karoline und Irma gelang im letzten Moment und unter Beschuss die Flucht in den nahegelegenen Wald. Was aus den anderen Häftlingen des Verlegungsmarsches geworden ist, konnte nie geklärt werden. Am nächsten Tag hatten die Amerikaner das Lager eingenommen und die beiden Frauen gingen dorthin zurück. Von dort kamen sie nach Olpe ins Krankenhaus, bevor sie nach Hause entlassen wurden. Die Nationalsozialisten hatten das Haus der Schmidts Tschechen übergeben mit den Worten, es sei nun das ihre. Die Metzgerei war geschlossen. Irma musste mehrfach bei der Militärregierung vorsprechen, bevor sie erreichen konnte, dass ihre Familie das Haus zurückerhielt.

Herr Schmidt, der vermutlich nur dank der Hilfe von Karl Wagner in Buchenwald überlebt hatte, kam am 21. Mai nach Hause. Die traumatischen Erlebnisse dieser Zeit haben alle, die es überlebt haben, lebenslang belastet, viele so sehr, dass sie niemals darüber sprechen konnten. Ich denke, es ist gut und richtig, dass wir auch diese Schicksale hier heute würdigen.

 

Wilhelm Josef Friedrich Schmidt
geboren am 20.05.1891 in Eschweiler (Kreis Aachen)
gestorben am 21.11.1974 in Mettmann
oo  09.03.1920 in Mettmann mit

Karolina Schmidt, geb. Bach:
geboren am 26.01.1897 in Essen
gestorben am 24.07.1978 in Alkmaar/NL
oo 09.03.1920 in Mettmann

Gerd Schmidt:
geboren am 30.09.1922 in Düsseldorf (Standesamt Düsseldorf-Ost)
gestorben am 13.04.1982 in Mettmann
oo 17.05.1949 in Mettmann mit

Lieselotte Irma Schmidt, geb. Schmidt:
geboren am 30.03.1923 in Mettmann
gestorben am 9.02.2016 in Mettmann

 

 

Print Friendly, PDF & Email